Unser Thema am People Thursday, dem 25. Mai 2023:
Sich leerende Auftragsbücher, stornierte Aufträge und eine allgemeine Zurückhaltung bei Investitionen führen aktuell zu einer leichten Entspannung am Arbeitsmarkt. Finanzverantwortliche richten Ihren Fokus auf aktives Liquiditätsmanagement, Kürzung von Investitionsbudgets und möglicherweise auch Personalabbau.
Recruiting-Verantwortliche im HR-Bereich können aktuell etwas durchatmen. Mit Blick nach vorne steht bei anziehender Wirtschaft zeitgleich wieder der akute Arbeitskräftebedarf bei Unternehmen im Fokus. Aus Finanzperspektive wird es voraussichtlich teuer und für HR arbeitsintensiv bis unmöglich, die richtigen Personen anzuziehen. Workforce Planning kann dazu beitragen, als erster aus dem Startblock zu kommen und mit dem richtigen Personal durchzustarten. Als Schnittstellentool zwischen Finance und HR sorgt Workforce Planning für Transparenz über die verfügbaren Ressourcen in Form von Kompetenzen, Skills sowie die Kosten, die für Hiring, Upskilling, Reskilling oder Downsizing anfallen.
Das Workforce Planning beschäftigt sich mit der operativen Personalplanung für die kommenden 12-18 Monate und sorgt in vielen Fällen für Frustration und Verzweiflung. Die zwei zentralen Spieler auf dem Feld sind die Finanz- und die Personalabteilung. Dieses Duo kann – wenn richtig eingespielt – in perfekter Symbiose aus dem oft frustrierend erlebten Prozess eine Erfolgsgeschichte gestalten.
Zu Beginn steht in der Regel eine übergeordnete strategische Vorgabe des Topmanagements im Raum, z.B. „Wir wollen wachsen“. Diese gilt es nun zu operationalisieren und in letzter Instanz in Zahlen zu übersetzen. In vielen Branchen stellen dabei die Personalkosten mit den größten Kostenblock dar. Hinzu kommt, dass sich aus einer Vielzahl an Engpassressourcen Personal meist als die kritischste Ressource von allen herauskristallisiert. Grund genug, sich diesem Thema eingehend zu widmen.
Die Komplexität dieser „Kostenart“ zeigt sich etwa am plakativen Beispiel der Landwirtschaft. Die Tätigkeiten in der Landwirtschaft haben sich im Laufe der Zeit fulminant verändert. Das Ziel ist nach wie vor das Gleiche: die Ernährung der Menschheit. Heute ist dafür neben den originär landwirtschaftlichen Tätigkeiten beispielsweise die wirtschaftliche und ökonomische Steuerung der Landwirtschaft von hoher Relevanz. Zusätzlich erfolgt eine permanente Prozessoptimierung unter Nutzung von Technologie, wie z.B. computergestützten Methoden zur Effizienzsteigerung, Einsatz von Drohnen, Robotik und Internet of Things sowie künstlicher Intelligenz. Diese „dritte Grüne Revolution“ nach Einführung von Traktoren und der Gentechnik wird auch smart farming bzw. precision farming genannt.
Diese Entwicklung kann für fast jede Jobfamilie erzählt werden. Dabei wird auch deutlich, dass die Digitalisierung gesamthaft betrachtet keine Jobs vernichtet, sondern viele neue Jobs und Tätigkeiten entstehen. Für die HR ist es bei der Personalplanung eine große Herausforderung, mit den Bedarfen der Fachbereiche sowie den Bedürfnissen der Mitarbeiter:innen Schritt zu halten.
Grundsätzlich können Unternehmen vier Stellhebel bedienen, um die Engpassressource Mensch zu lösen:
Recruiting
Aktuell gibt es zwar offiziell mehr Arbeitslose als offene Stellen (Stand April 2023: 134.271 offene Stellen für 258.652 Arbeitslose¹)), jedoch trügt der Schein, das Angebot würde die Nachfrage bedienen. Die drei Kernprobleme der Verfügbarkeit von Arbeitskräften lauten: falsche Qualifikation, falsche Zeit und falscher Ort. Knapp 30% der Arbeitslosen sind Langzeitarbeitslose, nur rund 22.000 Personen haben eine akademische Ausbildung. Pro Monat verzeichnet das AMS rund 100.000 Zu- und Abgänge1). Das bedeutet, dass sich diese Personen nur übergangsweise in der Arbeitslosigkeit befinden und somit nicht als potenzielle neue Mitarbeiter:innen zur Verfügung stehen. Schließlich ist trotz Remote Work für viele Tätigkeiten die lokale Verfügbarkeit nach wie vor essenziell und unzureichend gegeben.
Retention
Retention ist das neue Recruiting! Recruiting ist nicht nur schwierig und teilweise schlicht nicht in der Lage, die Engpassressource Mensch über den Arbeitsmarkt aufzulösen. Zudem kostet Fluktuation und Recruiting meist deutlich mehr als vermutet wird. Die Bindung der Mitarbeiter:innen rückt also verstärkt in den Fokus. Dreh- und Angelpunkt loyaler Beschäftigter ist dabei die Organisationskultur. Im Kern ist Kultur die individuelle Wahrnehmung der Arbeitsrealität und das akzeptierte Verhalten der Kolleg:innen, um daraus die Erwartungshaltung für das eigene Verhalten abzuleiten. Getragen wird dieses Verhalten von geteilten Werten. Die gute Nachricht: Kulturelle Organisationsmerkmale lassen sich messen und entwickeln. Kritische Gaps zwischen der erlebten Ist-Kultur und einer gewünschten Soll-Kultur können mit einfach zu implementierenden Tools analysiert werden. Mit diesem Wissen sind Investitionen in die Kultur in Form von zielgenauen Maßnahmen möglich und werden aufgrund ihrer Plausibilität und Rentabilität auch genehmigt.
(Höher-)Qualifizierung
Im Feld Aus- und Weiterbildung ist die große Herausforderung für die Spieler Finance und HR ähnlich. Wie können die Auswirkungen von Bildungsmaßnahmen auf das Geschäftsergebnis gemessen werden? Die Kennzahl dazu, der ROLI (return on learning invest) ist nicht einfach zu berechnen - aber es lohnt sich. Mitarbeiter:innen brauchen und wollen Fortbildungen. Zudem reduziert die Qualifizierung der Beschäftigten den Recruiting-Druck und erhöht die Mitarbeiter:innenzufriedenheit. Immerhin stellen die persönliche und fachliche Weiterentwicklung einen der meistgenannten Faktoren für Zufriedenheit dar. Oft lohnt sich der Blick nach innen, denn in der Regel schlummern in den meisten Organisationen zahlreiche unentdeckte Potenziale.
Besserer Einsatz
Und schließlich die Königsdisziplin: der effektive Personaleinsatz. Mangels Arbeitskräfteverfügbarkeit sind ein Umdenken, vorausschauendes Handeln sowie Offenheit und Flexibilität die Grundlage für eine erfolgreiche Implementierung. Um im Workforce Planning die richtigen Planungsschritte zu setzen, hilft eine fortlaufende strategische Personalplanung sowie Klarheit über das Leistungsportfolio der Organisation und die dafür notwendige Personalausstattung in Menge sowie Skills und Kompetenzen. Die Produktivität und Effizienz der Individuen in der Organisation kann z.B. allein durch flexiblen sowie situationsangepassten Einsatz erhöht werden. Auch gilt es konsequent diejenigen Tätigkeiten, die Mitarbeiter:innen von der eigentlich gewünschten Arbeit abhalten, zu reduzieren. Überbordende Administrationstätigkeiten, interne Doppelgleisigkeiten und Schnittstellenprobleme haben oft einen massiven Einfluss auf den Gesamterfolg einer Organisation.
Finance und HR
Diese zwei Welten haben ein gemeinsames Ziel: Den Engpass Mensch auflösen. Für den gemeinsamen Erfolg ist ein Verständnis der jeweiligen Haltung und der Pain Points der Funktion unerlässlich.
Finance braucht im Ergebnis eine plausible sowie exakte FTE- und Kostenkalkulation sowie Verständnis für die Planungsgrundlagen. Vage Angaben und nicht fundierte Schätzungen ebenso wie fehlerhafte oder unvollständige Daten machen der Finance-Abteilung die Verarbeitung der Personalplanung unmöglich. Demgegenüber widerstrebt die Reduktion von Menschen auf Zahlen der HR zutiefst. Wenn jedoch der Weg zur reduzierten FTE- und Personalkostenzahl fundiert und qualitativ erfolgt, finden HR und Finance zusammen. Sich hier gegenseitig zu unterstützen und methodisch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, macht Workforce Planning zu einem Erfolgsprozess.
Dabei darf nicht unterschätzt werden, wie wertvoll die Personalplanung für eine Organisation ist. Oft stellt dieser Ablauf den einzigen integrierten Prozess im Jahr dar, bei dem alle Unternehmensbereiche über die Plattform HR in einen gemeinsamen Diskussionsprozess eintreten. Hinter FTE und Personalkosten steckt das Leistungsportfolio einer Organisation mit zahlreichen internen Abhängigkeiten, die synchronisiert werden müssen, um zu einer brauchbaren Gesamtplanung zu kommen. HR gewährleistet dabei als Process Owner die Informations- sowie Datenlieferung und nutzt die richtigen Kennzahlen im Bereich HR Analytics. Außerdem stellt diese den optimalen Fit zwischen den Bedarfen der Fachbereiche basierend auf den Fähigkeiten der Beschäftigten sowie deren strategischen Einsatz im Unternehmen sicher.
HR als ECHTER Business Partner und Finance als Support und Sparringspartner sowie Process Owner für die Gesamtplanung. Ein gemeinsamer Weg, der über die Zukunft Ihrer Organisation maßgeblich entscheidet.
Die vier Dimensionen der Organisationskultur:
- Führung und Vision
- Gruppendynamik/soziale Interaktion
- Arbeitsgestaltung, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
- Gemeinsame Werte und Grundsätze
Finance: Pain Points, das will ich, das will ich nicht
PAIN POINTS
- Unplausible, nicht abgestimmte Daten
- Verantwortlich für gesamten Planungsprozess
- Faktor Zeit: manuelle und ineffiziente Prozesse
DAS WILL ICH
- Exakte FTE- und Kostenkalkulation
- Planungsgrundlagen für „Ressource Mensch“
- Szenarien als Planungsgrundlage
DAS WILL ICH NICHT
- Vage Angaben, nicht-fundierte Schätzungen
- Fehlerhafte, unvollständige Daten
- Keine Nachvollziehbarkeit der Planung
HR: Pain Points, das will ich, das will ich nicht
PAIN POINTS
- Menschen auf Zahlen reduzieren
- Fluktuation und MA-Bindung
- (Miss-)Erfolg von HRM beziffern
DAS WILL ICH
- Rahmen für FTE- und Gehaltsveränderungen
- Individuen mit Kompetenzen im Mittelpunkt
- Konkrete Leitplanken für OE & PE
DAS WILL ICH NICHT
- Personal als graue, unpersönliche Masse
- Keine Bewegungsfreiheit
- „Finance-Tätigkeiten“
Autor:innen:
Sonja Liebing |
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