Firmenwerte in Bilanzen unter Druck

Gastkommentar in Die Presse am 26.7.2022 von Dr. Markus Patloch-Kofler, Unternehmensbewerter bei BDO Austria GmbH und David Roider, MSc Universitätsassistent an der WU


 

Die Inflation und steigende Zinsen erhöhen die Chance wesentlicher Wertminderungen. Die Folgen können beträchtlich sein.

Die Bilanz europäischer Konzerne wird häufig durch Firmenwerte aufgebläht. Viele dieser Firmenwerte sind Altlasten und Unternehmen werden sie nur schwer los. Steigende Inflation und steigende Zinsen erhöhen nun jedoch die Gefahr wesentlicher Wertminderungen.

Die bedeutendste Position in der Bilanz eines Unternehmens ist das Eigenkapital. Sie bestimmt über die Existenz oder Nicht-Existenz eines Unternehmens und wird oftmals auch als „Reinvermögen“ bezeichnet. Seit nunmehr einigen Jahren ist jedoch beobachtbar, dass ein immer größer werdender Teil dieses Reinvermögens auf den Vermögenswert „Firmenwert“, auch „Goodwill“ bezeichnet, zurückzuführen ist. Doch gerade diese Werte geraten immer mehr unter Druck.

Ein Firmenwert entsteht meist dann, wenn Unternehmen fusionieren oder ein Unternehmen ein anderes erwirbt. Solche Unternehmenszusammenschlüsse stellen ein strategisches Werkzeug für Unternehmen dar, um wachsen zu können. Dieses künftige Wachstumspotenzial, welches meist erwartete Synergien für den Erwerber darstellt, wird durch den Bilanzposten des Firmenwerts repräsentiert. Ökonomisch betrachtet sollten sich solche Wachstumspotenziale laufend realisieren und damit zu einer mehr oder weniger kontinuierlichen Wertminderung des Firmenwerts in der Bilanz führen.


Risikoträchtige Entwicklung

Studien zeigen jedoch Gegenteiliges und bestimmte Rechnungslegungsvorschriften ermöglichen diese Entwicklung. Denn durch das Ausnützen von bilanzpolitischen Spielräumen werden solche Wertminderungen häufig vermieden. Und das aus gutem Grund: Denn derartige Wertminderungen belasten das Ergebnis des Unternehmens. Die Folge ist allerdings, dass dadurch nicht nur Wertminderungen des Firmenwerts in den Bilanzen unterlassen werden, sondern durch zusätzliche Unternehmenszusammenschlüsse die Position des Firmenwerts in den Bilanzen europäischer Konzerne kontinuierlich aufgebläht wird.

Wie bemerkenswert diese Entwicklung ist, zeigt folgendes Verhältnis: Die 600 im Stoxx Europe 600 gelisteten Unternehmen – darunter befinden sich auch einige österreichische Konzerne – weisen per 31.12.2021 Firmenwerte in Höhe von insgesamt 2,2 Billionen Euro in ihren Bilanzen aus. Das Eigenkapital, oder Reinvermögen, dieser Unternehmen ist mit rund vier Billionen Euro allerdings nur doppelt so hoch. Das bedeutet, dass im Durchschnitt die Hälfte des Reinvermögens von diesen Unternehmen ausschließlich auf Firmenwerte zurückzuführen ist. Und wie werthaltig sind diese Firmenwerte?

Analysen zeigen, dass in den letzten Jahren kaum Wertminderungen von Firmenwerten erfasst wurden, obwohl diese ökonomisch betrachtet angemessen gewesen wären. Die Vermutung, dass es sich bei den Firmenwerten also oftmals um mehr oder weniger wertlose Altlasten handelt, liegt nahe. Auch die Corona-Pandemie hat entgegen allen Erwartungen kaum zu Wertminderungen geführt. Eine günstige Möglichkeit zur Befreiung von erhöhten Firmenwertbeständen blieb dadurch ungenutzt. Die allgemeine ökonomische Werthaltigkeit der Firmenwerte darf somit zumindest angezweifelt werden.

Auf die Frage, warum Unternehmen Wertminderungen und damit eine Belastung des Ergebnisses um jeden Preis vermeiden wollen, gibt es mehrere Antworten. Je besser das Ergebnis eines Unternehmens ist, umso leichter gestaltet sich der Zugang zum Kapitalmarkt und zu zusätzlicher Liquidität bei Bedarfsfall. Zahlreiche Studien zeigen zudem, dass wesentliche Firmenwertabschreibungen in der Regel zu signifikanten Kursverlusten der Wertpapiertitel führen, was es stets zu vermeiden gilt. Und was ebenfalls regelmäßig von möglichst hohen Ergebnissen abhängt: die Boni für das Management.

Was bedeutet nun diese Entwicklung? In einem stabilen Marktumfeld noch nicht viel, aber in einem solchen befinden wir uns nicht mehr. Stellen Firmenwerte bereits ungeliebte Altlasten dar, ist ihre Werthaltigkeit auch für bilanzielle Zwecke oftmals nur mehr schwer und unter Ausnutzung sämtlicher bilanzpolitischer Spielräume begründbar.


Spielraum wird immer kleiner

Wesentliche Voraussetzungen dafür sind aber jedenfalls eine allgemein solide Ertragskraft der Unternehmen und ein niedriges Zinsniveau. Beides geht nun den Unternehmen allerdings aufgrund der hohen Inflation und der bekannten globalen Unsicherheiten verloren. Der Spielraum zur Vermeidung von Wertminderungen wird dadurch immer kleiner. Treten diese Wertminderungen dann in einem erwartbar großen Umfang ein, sind die Folgewirkungen für die betroffenen Unternehmen kaum vorhersehbar, können aber zu veritablen Liquiditätsengpässen führen.
Investoren sollten deshalb insbesondere jetzt ein prüfendes Auge auf die Bilanzposition Goodwill legen und dessen Werthaltigkeit kritisch hinterfragen.

 

 

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